von Paula Küppers
Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Stimmt das? Oder gibt es vielleicht doch universelle Merkmale, die alle Menschen attraktiv finden? Evolutionspsychologen sind sich einig: Ja, es gibt beim Menschen körperliche Eigenschaften, die objektiv am attraktivsten sind.
Gerade in einer Zeit, in der feministische Bewegungen wie das Body-Positivity-Movement über Social Media in aller Munde sind, fühlt es sich irgendwie falsch an, über so etwas wie eine „universelle Schönheitsnorm“ zu sprechen. Die meisten Menschen, insbesondere Frauen und Mädchen, fangen gerade erst an, sich von dem Schönheitsideal zu befreien, das ihnen lange Zeit aufgezwängt wurde, und erkennen, dass man mit seinem Aussehen niemandem gefallen muss.
Diese Entwicklung wollen wir auf keinen Fall untergraben. Den Selbstwert davon abhängig zu machen, wie man aussieht, kann schwere psychische Folgen nach sich ziehen. In diesem Artikel soll es deshalb nicht darum gehen, zu sagen: „So solltet ihr aussehen.“ Wir wollen einfach nur erklären, was bisher wissenschaftlich über das Thema Schönheit und Attraktivität herausgefunden wurde – und auch, was nicht. Die heute gängigen Schönheitsideale entsprechen nämlich oft gar nicht den wissenschaftlichen Erkenntnissen. Das Paradebeispiel: Rasieren. Glatte Beine, Achseln und Bikinizone bei Frauen gelten quasi als Pflicht, wenn sie als attraktiv wahrgenommen werden wollen. Dabei gibt es evolutionspsychologisch gar keinen Grund dafür.
Um der Schönheit auf die Schliche zu kommen, muss man erst einmal wissen: Was ist überhaupt „schön“? In der Öffentlichkeit gilt meist die Annahme, dass jeder ein individuelles Verständnis von Schönheit hat. Das gilt nicht nur im Bezug auf Menschen, sondern auch bei Musik, Kunst oder Mode. Ich kann klobige „Dad Shoes“ schön finden, und der nächstbeste Mensch findet sie abgrundtief hässlich.
Aber wenn das, was man schön findet, so individuell unterschiedlich ist, wie kann man dann sagen, dass es universelle Schönheitsmerkmale gibt? Dazu benutzen Wissenschaftler Studien. Sie zeigen hunderten von Probanden verschiedene Bilder, zum Beispiel von menschlichen Gesichtern (oder eben „Dad shoes“). Die Probanden müssen dann bewerten, wie schön sie das Bild finden – meistens auf einer Skala von 1 bis 5.
Bei solchen Experimenten zeigt sich: Es gibt eben doch bestimmte Dinge, die vom Durchschnitt der Menschen schön gefunden werden. Zum Beispiel könnten bei einem bestimmten Gesicht 97% der Probanden die höchste Punktzahl gegeben haben. Das zeigt, dass in genau diesem Gesicht wohl etwas gibt, worüber sich Menschen einig sind, dass es attraktiv auf sie wirkt. Im Allgemeinen sagt man, dass das Schönheitsempfinden zur Hälfte von individuellen Neigungen, zur anderen Hälfte von diesen universellen Merkmalen geleitet wird.
Durch diese Studien konnte die Wissenschaft herausfinden, dass es acht „Säulen“ von Attraktivität gibt. Das heißt, diese acht Merkmale tragen dazu bei, dass ein Gesicht von den Probanden als attraktiv eingestuft wurde.
1. Symmetrie
Je symmetrischer das Gesicht, desto attraktiver bewerten Probanden es.
2. Jugendlichkeit
Je weniger Altersmerkmale (Falten usw.), desto attraktiver wird das Gesicht bewertet. Natürlich aber erst ab einem gewissen Alter - Babys werden meist nicht als schön, sondern als süß bewertet.
3. Durchschnittlichkeit
Wenn viele verschiedene Gesichter zu einem einzigen zusammengemorphed werden, wird dieses Durchschnittsgesicht meist attraktiver eingestuft als die einzelnen Originalgesichter.
4. Sexualhormonmarker
An verschiedenen Körpermerkmalen kann man ablesen, wie hoch das Östrogen- oder Testosteronlevel ist. Volle Lippen sprechen zum Beispiel für Östrogen, ein breites Kinn für Testosteron. Stärker ausgeprägte Sexualhormonmarker werden als attraktiver eingestuft, aber nur bis zu einem bestimmten Grad (also nicht: Je mehr, desto besser)
5. Geruch
Hier ist noch nicht genau untersucht, was am Geruch für Attraktivität spricht. Klar ist nur, dass attraktive Personen auch attraktiv riechen.
6. Bewegung
Selbstbewusste, energetische Bewegungen werden als attraktiver wahrgenommen.
7. Haare
Volles, gesund aussehendes Haar ist attraktiver. Dunkles Haar wird durchschnittlich attraktiver bewertet als helles.
8. Haut
Ein ebenmäßiger Teint ist attraktiver, also keine Pickel, keine Verfärbungen oder Augenringe, keine übermäßig blasse Haut oder Leberflecken.
Da hätten wir sie also, die acht universellen Schönheitsmerkmale. Egal in welchem Kulturkreis, Menschen finden diese Merkmale attraktiv. Auch wenn man sich alte Skulpturen wie Michelangelos David anschaut, sieht man: Schönheitsmerkmale haben sich historisch betrachtet nicht besonders stark gewandelt. Es gibt einfach Gesichter, die sind objektiv betrachtet schön, und zwar, weil sie diesen acht Säulen entsprechen. Dabei ist es egal, ob es nun Michelangelos David, Beyoncé oder K-Pop Star Jennie Kim ist.
Diese acht Säulen herauszufinden, war nicht so schwer. Man musste nur Gesichter von möglichst vielen Menschen bewerten lassen. Die schwierigere – und auch wichtigere – Frage für die Forscher lautet aber: Wieso finden so viele Menschen diese Merkmale schön? Hier kommt die Evolutionspsychologie ins Spiel. Ihre Theorie ist, dass Menschen – genau wie Tiere – bei der Partnerwahl auf äußere Merkmale achten, die anzeigen, ob jemand ein evolutionär günstiger Fortpflanzungspartner ist, also gute Gene mitbringt.
Bei einem männlichen Pfau zeigt zum Beispiel das Rad, das er schlägt, ob er gesund ist. Schon kleinste Gen-Abweichungen stören das komplizierte Muster. Ist der Pfau krank, ist auch das Rad zerfleddert. Das Pfauen-Weibchen weiß also sofort, dass es besser einen gesünderen Partner wählen sollte, um zu garantieren, dass ihre Kinder gute Überlebenschancen haben. Kleiner Fun-Fact am Rande: Dass beim Menschen die Frau als „das schöne Geschlecht“ gilt, macht eigentlich gar keinen Sinn. Im Tierreich ist es fast immer so, dass das Geschlecht, das mehr Energie in die Aufzucht der Jungen steckt, wählerischer bei der Partnerwahl ist. Meist müssen die Männchen also durch ihr Aussehen imponieren, die Weibchen sind oft schlichter gemustert.
Aber zurück zum Menschen: Viele Attraktivitätsforscher glauben, dass die acht Schönheitssäulen Anzeiger für die genetische Fitness sind. Symmetrie, Durchschnittlichkeit, energetische Bewegung und makellose Haut und Haare sind alles Hinweise darauf, dass die Person gesund ist. Jugendlichkeit und Sexualhormonmarker dagegen zeigen an, dass sie einerseits die sexuelle Reife hat, die zur Reproduktion nötig ist, andererseits aber nicht zu alt, um sich noch fortzupflanzen. Am Geruch kann man auch erkennen, ob das Immunsystem des potentiellen Partners anders ist als das eigene, was sich positiv auf den Genpool auswirkt.
Für diese biologische Erklärung spricht auch, dass es bei Frauen vom Zyklus abhängt, welche Männer sie attraktiv finden. Während des Eisprungs, also in der fruchtbaren Phase, legen Frauen mehr Wert auf Sexualhormonmarker, also breite Schultern, hohe Körpergröße oder ein breites Kinn. Zu anderen Zeiten im Zyklus sind die Ergebnisse nicht mehr so eindeutig. Dann legen Frauen oft mehr Wert auf Charaktereigenschaften wie Humor oder Fürsorglichkeit.
Die Evolutionspsychologische Theorie ist aber teilweise umstritten. Da der Mensch ohne Kultur kein Mensch wäre, ist es schwer, kulturelle und biologische Einflüsse zu trennen. Manche denken, dass man nicht einfach so die Verhaltensmuster von Tieren mit denen von Menschen gleichsetzen kann. Das letzte Wort in dieser Debatte ist noch nicht gesprochen – klar ist aber, dass es bestimmte Merkmale gibt, die objektiv von allen Menschen als attraktiv eingeschätzt werden.
Am Schluss noch eine persönliche Anmerkung: Leider ist die Attraktivitätsforschung trotz einiger Ausnahmen noch ziemlich fixiert auf westliche, also weiße, Studienteilnehmer. Wie gesagt gibt es auch kulturübergreifende Studien, aber viel zu wenige. Was außerdem auffällig ist: Die evolutionspsychologischen Erklärungsansätze konzentrieren sich extrem auf ein heteronormatives Bild von Geschlechtern. Dass Geschlecht eigentlich ein Spektrum ist, wird gar nicht berücksichtigt. Auch Homosexualität wurde bis jetzt so gut wie gar nicht untersucht. Gelten die Attraktivitätsmerkmale auch für Menschen, die das gleiche Geschlecht anziehender finden, deren Hauptinteresse also vielleicht gar nicht in der Fortpflanzung liegt?
Wie dem auch sei: Vielleicht lässt sich aus diesem kleinen Ausflug in die Schönheitsforschung doch noch eine Nachricht mitnehmen, die nicht so oberflächlich ist, wie das Thema es vermuten lässt, und zwar: Eigentlich ist es egal, wie du aussiehst, so lange du gesund bist!
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