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Split und die Darstellung von psychischen Krankheiten in den Medien

Aktualisiert: 14. Juni 2021

von Paula Küppers


Der Film Split von M. Night Shyamalan zeigt über knapp zwei Stunden die Geschichte von einem Kidnapper mit 23 Persönlichkeiten (gespielt von James McAvoy), der Mädchen entführt und umbringt. Aber ist die Darstellung der dissoziativen Identitätsstörung in dem Film wirklich faktisch richtig? Und wie trägt sie zum Bild bei, das die Öffentlichkeit von der Störung hat?


Inhalt

Der Film beginnt mit der Entführung dreier Mädchen durch einen fremden Mann, der sich zu ihnen ins Auto setzt und sie betäubt. Die drei kommen in einem Keller wieder zu sich. Während die Hauptperson Casey (gespielt von Anya Taylor-Joy) , die nur zufällig mit im Auto saß, sich vorsichtig und abwartend verhält, versuchen die beiden anderen Mädchen (auf die der Entführer eigentlich es abgesehen hatte) sofort, sich zu befreien, was ihnen Strafen einbringt. Im Laufe des Films kommt heraus, dass ihr Kidnapper verschiedene Persönlichkeiten hat. Nur zwei von ihnen (die „Bösen“) haben die Entführung geplant, andere sind unschuldige Kinder oder versuchen, den Plan der Entführer-Persönlichkeiten zu vereiteln, zum Beispiel, indem sie ihrer Psychologin schreiben. Eine 24ste Persönlichkeit bahnt sich an, das „Biest“. Dieses hat übernatürliche Kräfte und will alle, die kein Trauma erlebt haben, vernichten. Es tötet und isst die beiden Mädchen und die Psychologin, lässt Casey aber laufen, als es sieht, dass sie Narben an ihren Handgelenken hat. Ganz kurz erfährt man auch etwas über Kevin, die „originale“ Persönlichkeit, und darüber, dass sich seine Persönlichkeit wegen eines Traumas gespalten hat.


Stimmt das?

Wenn man es rein auf die Fakten herunterbricht, ist die dissoziative Identitätsstörung in Split richtig dargestellt. Die Persönlichkeiten sind klar voneinander abgegrenzt, auch in der Praxis weiß manchmal die eine Persönlichkeit nicht, was die anderen machen, es gibt Erinnerungslücken und auch Konflikte zwischen den verschiedenen Charakteren (obwohl es unrealistisch ist, dass sich zwei Persönlichkeiten gegen die restlichen verbünden). Es kann sogar sein, dass die Persönlichkeiten sich körperlich unterscheiden, zum Beispiel in Allergien. Auch die Entstehung durch ein Kindheitstrauma findet man bei so gut wie allen Patienten. James McAvoy spielt die verschiedenen Persönlichkeiten sehr realistisch.


Da hören die Parallelen zur echten Welt aber auch schon auf.


Was man zum Beispiel so nie finden würde, sind die ständigen Outfitwechsel des Entführers. Klar haben verschiedene Persönlichkeiten auch unterschiedliche Styles oder Geschmäcker. Aber wenn die Persönlichkeit switcht, ist meist nicht der erste Gedanke „ich muss mich sofort umziehen“. Außerdem finde ich es schwierig, dass der Film so viel Wert darauf legt, dass es eine „originale“ Persönlichkeit gibt- die Persönlichkeiten entwickeln sich ja meist schon ab einem ganz frühen Kindesalter auseinander, sodass es in echt meistens nicht die eine „richtige“ Persönlichkeit gibt. Auch die übernatürlichen Fähigkeiten vom „Biest“ sind natürlich frei erfunden. DIS-Patienten schalten durch ihre Krankheiten keine neuen körperlichen Möglichkeiten frei und können auch nicht an Wänden hochlaufen.


Und das wichtigste: Menschen, die an einer DIS leiden, sind keine Killer! Wie bei jedem anderen Menschen auch kann es natürlich vorkommen, dass eine Persönlichkeit aus einem DIS-System eine Straftat begeht. Aber so kaltblütig vorzugehen, wie in dem Film, ist eigentlich eher typisch für einen Soziopathen und nicht für einen DIS-Patienten. Meistens ist es sogar so, dass Betroffene nur für sich selbst gefährlich sind und die Krankheit überhaupt nicht nach außen tragen. Sie haben auch nicht einfach so Aggressionen oder Impulse, Menschen zu entführen, ganz genau so wie du und ich das auch nicht haben. Das ist, wie gesagt, eher typisch für Psychopathen oder Soziopathen.

Außerdem zeigt der Film auch zu wenig die tägliche Belastung, die die DIS für Betroffene meist darstellt. Sie haben oft Panikattacken oder Flashbacks zu den schlimmen Traumata, die sie erlebt haben, was im Film gar nicht zu Geltung kommt.


Dürfen psychische Krankheiten zum Angstmachen benutzt werden?

Was an dem Film faktisch richtig und falsch ist, hätten wir also geklärt. Viel wichtiger ist aber die Frage: Wie trägt der Film zur öffentlichen Wahrnehmung der DIS bei? Erstmal Vorweg: Ich finde, es ist kein Vergehen, eine psychische Krankheit zum Objekt eines Horrorfilms zu machen. Das Wichtige dabei ist aber, dass die Krankheit nicht zur Karikatur verkommt. Und das kann nur vermieden werden, wenn der Film auch Sympathie mit dem Täter zeigt, auf seine Vorgeschichte eingeht und die Dinge aus seiner Sicht zeigt. Und das tut Split, meiner Meinung nach, zu wenig. Indem die Krankheit nur als Schocker benutzt wird, verkennt der Film dem Betroffenen seine Menschlichkeit.


Es gibt nur eine kurze Szene, in der die „originale“ Persönlichkeit, Kevin, zu Wort kommt und in der man als Zuschauer mehr Einblick darein gewinnt, was für ein schlimmes Trauma die DIS verursacht hat und wie belastend die Situation für Kevin sein muss. Ansonsten wird der Betroffene entweder durch die Augen von Casey als übermächtiger Killer, oder aus Sicht der Psychologin als Supermensch mit tollen körperlichen Fähigkeiten porträtiert. Das führt dazu, dass der der Zuschauer Kevin nicht mehr als Menschen wahrnimmt. Der Effekt wird dadurch noch verstärkt, dass das „Biest“ als animalisch dargestellt wird und über-menschliche, also nicht-menschliche, Eigenschaften besitzt. Wie ein buchstäblicher Dämon krabbelt es Wände hoch oder verleibt sich die Organe seiner Opfer ein – klar, dass man bei diesen Szenen kein Mitleid mit dem Täter empfindet, und es schwer ist, ihn überhaupt noch als Menschen zu sehen.


„Das ist ja nur ein Film, der ist doch zur Unterhaltung da“, könnte man jetzt sagen. Aber: Was wir konsumieren, bestimmt, wie wir die Welt sehen- bewusst oder unbewusst. Darstellungen von psychischen Krankheiten wie in Split verstärken Vorurteile, die die Gesellschaft gegenüber Betroffenen hat. Ich möchte es, wie gesagt, überhaupt nicht verdammen, dass psychische Krankheiten in Horrorfilmen zum Angst machen benutzt werden - das Ziel eines Horrorfilms ist ja, Furcht und Schrecken im Zuschauer auszulösen, und wie könnte das besser erreicht werden, als die Instabilität und Schattenseiten der menschlichen Psyche aufzuzeigen? Aber man sollte es eben so machen, dass der psychisch kranke Täter dabei nicht verteufelt wird.


Wenn Alfred Hitchcock das vor 80 Jahren in Psycho geschafft hat, sollte ein berühmter Regisseur wie M. Night Shyamalan das doch im Jahr 2021 auch hinkriegen. Psycho macht einem gerade deshalb so viel Angst, weil der Zuschauer Sympathie mit dem Täter Norman Bates empfindet, er weiß über seine Hintergrundgeschichte Bescheid und kann nachvollziehen, wie ein Kindheitstrauma seine psychische Krankheit verursachte. So merkt der Zuschauer, dass in jedem von uns eine „dunkle Seite“ unter der Oberfläche schlummert - auch wir hätten die Störung entwickeln können, wenn wir dasselbe Trauma wie Norman erlebt hätten. Gleichzeitig erkennt der Film damit an, dass auch der Täter ein Opfer ist, und zwar von den Umständen, die in ihm die Krankheit ausgelöst haben, die ihn nun daran hindert, ein normales Leben zu führen. So verliert der Zuschauer nicht aus den Augen, dass Norman Bates auch ein ganz normaler Mensch ist, und der Täter verkommt nicht zur Karikatur. Das löst am Ende ein viel tieferes Gefühl des Unbehagens und der Angst aus, als die Jumpscares in Split es können, denn in Split wird die Krankheit nur als oberflächlicher Vorwand benutzt, um Menschen zu schocken. Eine einfühlsamere Darstellung von psychischen Krankheiten kann also nicht nur helfen, Stigmata abzubauen, sondern macht sogar mehr Angst, kann das "Ziel" des Horrorfilms also besser umsetzen, weil der Zuschauer sich auch mit dem Täter identifizieren kann.


Darstellung von psychischen Krankheiten in den Medien

Also: Es kann auch gute Darstellungen von psychischen Krankheiten geben, die einem trotzdem (oder gerade deshalb) Angst machen. Generell ist es aber wichtig, dass psychische Krankheiten nicht nur mit Horrorfilmen assoziiert werden. Klar ist es okay, sie in diesem Genre zu benutzen - aber warum nicht auch in anderen? Dadurch, dass psychische Krankheiten fast ausschließlich im Horrorgenre Auftritte haben, denkt ein Großteil der Öffentlichkeit immer noch, Betroffene seien gefährlich. Wenn diese Krankheiten aber auch in Liebesfilmen, Dramen oder auch Serien öfter gezeigt würden, könnte das dazu beitragen, Vorurteile immer weiter abzubauen.


Dabei muss es ja gar nicht in der Hauptsache um die Krankheit gehen, man kann die Krankheit auch einfach zu einem ganz normalen Bestandteil des Charakters machen. In Pretty Little Liars hat Hannah zum Beispiel Bulimie – es könnte doch auch Seriencharaktere mit einer DIS geben, die dem Stereotyp entgegenwirken, dass Patienten immer gefährlich sind. Immerhin sind von 100 Menschen einer bis fünf von DIS betroffen. Anstatt psychische Krankheiten nur im Kontext von Horrorfilmen zu zeigen, könnten Filme und Serien so ein viel realistischeres Bild von der Gesellschaft vermitteln - und vor allem zeigen, dass Betroffene eben nicht Mörder sind, die in einem Keller wohnen, sondern ganz normal in der Gesellschaft stehen, Jobs haben und Beziehungen führen.


Es gibt auch tolle Beispiele davon, wie man psychische Krankheiten in Serien einbindet: In "Crazy Ex-Girlfriend" zum Beispiel findet die Protagonistin (Spoiler!) in der zweiten Staffel heraus, dass sie eine Borderline-Persönlichkeitsstörung hat. Es geht aber in der Serie hauptsächlich darum, wie sie versucht, mit ihrem Ex-Freund zusammenzukommen, und dabei Freundschaften schließt und sich in jemand anderen verliebt. Die Krankheit muss also, wie gesagt, gar nicht im Vordergrund stehen, sondern kann ganz einfach ein Teil des täglichen Lebens sein. Das Ganze ist aber ein Thema, das die gesamte Medienlandschaft betrifft, die sich generell mit der Repräsentation von Minderheiten (Frauen, Menschen mit Behinderung, nicht-weiße Menschen, queere Menschen usw.) leider immer noch schwertut.


Um aber zurück zu Split zu kommen: Ja, die Symptome der DIS werden im Groben richtig gezeigt. Ob die Art und Weise, wie die Krankheit in dem Film dargestellt wird, aber in einem größeren Sinne richtig ist, ist eine andere Sache. Ich hoffe, dass Filmanalysen wie diese hier dabei helfen, alte Mythen über psychische Krankheiten aus dem Weg zu räumen und mehr awareness dafür zu schaffen, dass die Medien Betroffene oft entmenschlichen und verteufeln. Wenn ihr Feedback zu dem Artikel habt, schreibt uns gerne bei Instagram!



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