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Prokrastination - der Alltagsfresser

Aktualisiert: 14. Juni 2021

von Paula Küppers


„Okay, ich schreibe heute schonmal den Blogartikel für morgen, dann habe ich das schon erledigt, heute habe ich ja Zeit“, nahm ich mir gestern vor. Dann frühstückte ich, setzte mich an den Laptop und schaute YouTube Videos. Ehe ich mich versah, waren ein paar Stunden vergangen. Ich fühlte mich schlecht, weil ich noch nichts geschrieben hatte. „Jetzt ist es ja eh schon 12, da lohnt es sich auch nicht mehr, anzufangen.“ Also verschob ich das ganze auf heute. „Okay, jetzt setzt du dich direkt an den Laptop“, dachte ich heute morgen, aber irgendwie war es dann ganz wichtig, Emails zu beantworten und mein Zimmer aufzuräumen (sonst kann man ja nicht arbeiten) und so weiter und so weiter. Bis dann die Deadline immer näher rückte, und jetzt sitze ich endlich vor dem Artikel und muss ihn unter Zeitdruck schreiben.


Vom Snooze-Button bis zur Studiengangswahl: Alle Menschen zögern ungeliebte Aufgaben oder Entscheidungen manchmal hinaus. “Prokrastination“ heißt das etwas fachlicher ausgedrückt. Der Begriff kommt aus dem Lateinischen und besteht aus den Wörtern „Vorwärts“ (pro) und „Morgen“ (crastinum) - man schiebt die eigentlich zu erledigende Aufgabe nach vorne und damit auf den morgigen Tag.


Kennt ihr das auch? Eigentlich weiß man, dass man jetzt gerade lernen sollte, einen Anruf machen oder eben einen Artikel schreiben, und trotzdem prokrastiniert man, bis es nicht länger geht. Dabei wird das Hinauszuögern manchmal zum echten Zeitfresser im Alltag. 98% der Menschen geben an, manchmal Dinge aufzuschieben. Bei gut 20 Prozent ist die Prokrastination aber chronisch bzw. pathologisch. Es wird zum Problem, wenn alles einfach „abgewartet“ wird und Entscheidungen immer so lange wie möglich hinausgezögert werden. So verpasst man Chancen im Leben, nicht nur beruflich, sondern auch in Beziehungen. Dabei ist das Phänomen Prokrastination unbedingt von „Faulheit“ zu unterscheiden. Vielmehr spielen Perfektionismus, Schuldgefühle und Selbstwert eine Rolle beim Prokrastinieren.


Warum prokrastiniert man?

Für Menschen ist es ganz normal, dass sie ihren Selbstwert vor Verletzungen durch negative Gefühle schützen möchten. Klar mag es niemand gerne, wenn jemand einem das Gefühl vermittelt, man wäre dumm oder unzureichend. Durch Prokrastination schützt man seinen Selbstwert. Besonders gut kann man das an Beispiel Klausuren erklären. Wenn ich früh anfange zu lernen, mein Bestes gebe und am Ende doch nur eine Vier schreibe – klar, dann fühle ich mich irgendwie dumm. Das kann den Selbstwert angreifen. Aber wenn ich einen Tag vor der Klausur mit den Vorbereitungen starte, und deshalb die Vier schreibe – dann liegt es ja nicht nur an mir, sondern daran, dass ich keine Zeit hatte. So bleibt mein Selbstwert intakt.


Bei mir selbst und meinem Blogartikel (und auch bei den meisten anderen Menschen) hat die Prokrastination also mit der Vermeidung von negativen Gefühlen zu tun. Prokrastinierer schieben auf, weil sie unbewusst glauben, dass sie sich schlecht fühlen werden, wenn sie die Aufgabe erledigen. Ich dachte also gestern vielleicht insgeheim: „Wenn ich jetzt den Artikel schreibe, merke ich bestimmt, dass ich noch gar nichts über das Thema Prokrastination weiß und fühle mich dumm.“ Aus Angst davor versucht man sich dann abzulenken, zum Beispiel durch Videos. Oder man führt andere Handlungen aus, die einem ein besseres Gefühl vermitteln, wie das Zimmer aufräumen – das ist leicht getan und der Selbstwert ist danach ein bisschen aufpoliert („Ich hab ja schon was geschafft“).


Leider führt das Aufschieben aber zu einem Teufelskreis: Nach dem Videos-gucken habe ich ein schlechtes Gewissen. Das führt zu mehr negativen Gefühlen im Zusammenhang mit dem Artikel, von denen ich mich dann wieder ablenken will. Außerdem wird die Aufgabe so auch schwieriger, denn ich habe weniger Zeit für den Artikel.


Aber warum schieben einige Menschen mehr auf als andere?

Bei manchen Menschen sind die Verhaltens- und Denkmuster, die zur Prokrastination führen, stärker ausgeprägt. Einige davon will ich hier vorstellen, und Tipps nennen, wie man sie im Alltag vermeiden kann.


1. Perfektionismus

Chronische Prokrastinierer sind häufig extrem perfektionistisch. Das heißt, sie setzen ihre Ziele sehr hoch und fühlen sich schon bei der kleinsten Abweichung unzulänglich. Um beim Beispiel vom Anfang zu bleiben, heißt das in meinem Gedankengang: Wenn ich keinen Artikel schreibe, der allen Lesern gefällt und der perfekt recherchiert ist, ist der Artikel schlecht und die Aufgabe gescheitert. Wenn die Ziele so unrealistisch sind, ist es ja klar, dass man Angst vor dem Outcome hat und lieber süße Hundevideos schaut, als es überhaupt zu versuchen.


Tipp: Kleine, realistische Ziele setzen.


2. Aufbauschen der Aufgabe

Beim Prokrastinieren macht man im Kopf die Aufgabe viel anstrengender, größer und wichtiger, als sie ist. Oft wird das nicht nur bei zu erledigenden Aufgaben, sondern auch bei Entscheidungen ein Problem. Ein Beispiel: Viele Menschen prokrastinieren bei beruflichen Entscheidungen. Sie denken, dass ihr Leben zerstört ist, wenn sie sich für die falsche Stelle bewerben oder den falschen Studiengang wählen.


Tipp: Rede dir die Aufgabe im Kopf klein! („Eigentlich ist es gar nicht so wichtig“ usw.)

Mach dir klar, dass keine Entscheidung auch eine Entscheidung fürs Nichtstun ist!


3. Niedriger Selbstwert

Häufig wird beobachtet, dass chronische Prokrastinierer einen hohen „social-esteem“ (sozialer Selbstwert), dafür aber einen niedrigen „self-esteem“ (Selbstwert) haben. Das heißt, ihre Persönlichkeit, ihre Ziele und Werte sind nicht so gefestigt, wie bei anderen Menschen. Deshalb denken sie bei Entscheidungen und der Erledigung von Aufgaben zu sehr daran, was andere von ihnen erwarten oder denken könnten.


Tipp: Setze dich mit dir selbst auseinander – reflektiere, was du willst, was dir egal ist und wie du das am besten umsetzt.


Übrigens ist pathologische Prokrastination noch nicht in den DSM aufgenommen, ist also keine „offizielle“ Krankheit. Trotzdem leiden Betroffene oft extrem darunter und die Folgen im Beruf- und Privatleben könne verheerend sein. Es gibt aber einige Angebote für Prokrastinierer, in einer Verhaltenstherapie kann man zum Beispiel dysfunktionale Muster durch funktionale ersetzen. Wenn ihr das Gefühl habt, ihr schiebt selbst ziemlich viel auf, könnt ihr hier mal schauen – meine Uni hat eine Prokrastinationsambulanz, und bietet auf der Seite einen offiziellen Prokrastinationsfragebogen und noch mehr Tipps gegen die „Aufschieberitis“ an. Außerdem interessant: Dieses Video, in dem das Ganze richtig gut erklärt wird.



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