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Kognitive Dissonanz: Warum sind wir nicht alle Veganer?

Aktualisiert: 14. Juni 2021

von Paula Küppers



Wenn wir in Zukunft weiter auf dieser Erde leben wollen, müssen wir dafür sorgen, dass sie sich nicht weiter erwärmt. Das ist nicht übertrieben: Wenn der Golfstrom zum erliegen kommt, was bei einer Erderwärmung von über 2 Grad durchaus sein kann, bricht eine Eiszeit aus. Wenn der Klimawandel nicht aufgehalten wird, werden wir in ein paar Jahren regelmäßig von Überschwemmungen, Waldbränden und, Strom- und Ernteausfälle heimgesucht. Auch die Weltwirtschaft wird Einbußen verzeichnen, wenn der Klimawandel weitergeht wie bisher. Es sollte eigentlich allen Menschen ein Anliegen sein, dieses Szenario zu vermeiden. Müsste man meinen.


Wahrscheinlich ist auch niemandem neu, dass die Tierindustrie (also die Produktion von Fleisch- und Milchprodukten) massiv dazu beiträgt, dass Treibhausgase in die Atmosphäre gestoßen werden. Jeder Mensch in Deutschland verursacht im Schnitt 11 Tonnen Treibhausgase pro Jahr. Bei Veganern sind es nur 8. Vegane Ernährung ist im durchschnitt günstiger als Ernährungsformen mit tierischen Produkten und mindestens genau so gesund. Meist sind Veganer sogar gesünder, weil Fleischkonsum mit einem stark erhöhten Risiko für Herzkrankheiten einhergeht.




Fast zwei Drittel der Deutschen sehen den Klimawandel als drängendes Problem – trotzdem essen in Deutschland nur 1, 4 Prozent der Menschen vegan. Woran liegt dieser Unterschied? Müssten nicht eigentlich alle Menschen, die gegen den Klimawandel sind, auch auf Fleisch und Milch verzichten?


Hier kommt die Psychologie ins Spiel, und zwar mit dem Phänomen der kognitiven Dissonanz. Erstmal hört sich das schwierig an. Wir alle erleben es aber jeden Tag: Kognitive Dissonanz heißt, dass meine Handlungen nicht mit meinen Werten und Ansichten übereinstimmen. Ein Beispiel dafür ist, wie oben erklärt, umweltbewusstes Handeln. Viele Menschen wollen den Klimawandel aufhalten (= Werte und Ansichten zum Thema Umweltschutz). Ihr tägliches Handeln entspricht aber nicht diesem Wertesystem, das sie im Kopf haben. Sie benutzen Plastiktüten beim Einkaufen, Fliegen in den Urlaub und essen Fleisch.


Zur Verdeutlichung hier noch ein paar Beispiele: Man isst Zucker, obwohl man weiß, dass es schlecht für die Gesundheit ist. Man geht nicht ins Fitnessstudio, obwohl man eigentlich das Ziel hat, sportlicher zu werden. Man bearbeitet seine Haut oder seinen Körper auf Instagram – Bildern, obwohl man eigentlich findet, dass in den sozialen Medien alle zu perfekt aussehen. Man rasiert sich die Beine, obwohl man weiß, dass man sich damit dem gesellschaftlichen Druck beugt, der Frauen diktiert, wie sie auszusehen haben. Man bestellt bei Zara, obwohl man eigentlich will, dass Textilarbeiter fair bezahlt werden.


Kurz gesagt: Man handelt komplett gegen das eigene Wertesystem.


Es soll in diesem Artikel nicht darum gehen, diese Verhaltensweisen anzuprangern - jeder darf so viel Zucker essen, so viele Filter auf sein Gesicht klatschen und so viel fast fashion kaufen, wie er oder sie will. Es geht hier darum, deutlich zu machen, was eben passiert, wenn einem auffällt, dass diese Handlungen nicht mit den eigenen Ansichten übereinstimmen. Denn dann bekommen die meisten Leute ein negatives Gefühl: Das schlechte Gewissen. Man fühlt sich unwohl. Kein Mensch kann konstant mit diesem negativen Gefühl leben, das ihr vielleicht auch gerade beim Lesen des Textes bekommen habt.


Irgendwie muss man die kognitive Dissonanz, das schlechte Gewissen, also wieder wegkriegen, man muss wieder mit sich ins Reine kommen. Ansonsten würde man den ganzen Tag zu Tode betrübt durch die Gegend laufen. Es gibt drei verschiedene Optionen, wie Menschen die Dissonanz aufzulösen und wieder den Einklang zwischen Handlung und Wertesystem herzustellen. Diese drei Strategien möchte ich am Beispiel vegane Ernährung vorstellen.



Stellen wir uns einmal eine Durchschnitts-Deutsche vor, und nennen wir sie Ute. Ute isst jeden Tag Fleisch. Und sie möchte, dass ihre Kinder und Enkel in einer Welt leben, in der sie nicht jeden Tag um ihr Überleben kämpfen müssen – sie ist also gegen den Klimawandel. Ute sieht jetzt eine Dokumentation, sagen wir mal, Cowspiracy, bei Netflix, und merkt dadurch, dass ihr Fleischkonsum massiv zum Klimawandel beiträgt. Deshalb fühlt sie sich unwohl und bekommt ein schlechtes Gewissen. Was könnte sie jetzt tun?


1. Verhalten ändern


Ute beschließt, von jetzt an ihren Fleischkonsum zu reduzieren. Es dauert ein bisschen, bis sie sich daran gewöhnt, aber irgendwann merkt sie, dass es gar nicht so schwer ist, wie gedacht. Ute hat ihre Ernährung so angepasst, dass sie zu ihrem Wertesystem passt.




2. Ansichten ändern


Ute denkt sich: „Ach, das mit dem Klimawandel ist mir eigentlich doch nicht so wichtig. Ich nehme es in Kauf, dass in Zukunft mal was Schlimmes passiert. Dafür schmeckt mir das Fleisch einfach zu gut.“ Sie findet, es passt nicht zu ihr, nur wegen dem Klimawandel, der sie ja gar nicht so richtig betrifft, mit der Gewohnheit aufzuhören. Ute hat also ihr Wertesystem an ihre Handlungen angepasst.





3. Konsonante Kognition hinzufügen


Ute möchte nicht mit dem Fleischessen aufhören, aber so einfach ihre Werte im Bezug auf Klimawandel und Tierquälerei aufgeben, kann sie auch nicht. Deshalb muss sie sich Argumente suchen, warum es trotzdem okay ist, dass sie weiterhin Fleisch und Milch konsumiert. Sie denkt sich: „Die Ernährung trägt ja eigentlich gar nicht so viel bei zum Klimawandel. Eigentlich müssten die großen Unternehmen sich mehr bemühen, Treibhausgase einzuschränken!“ So stimmt Utes Wertesystem wieder mit ihren Handlungen überein.




Vielleicht denkt sie auch: „Was macht es für einen Unterschied, wenn ich jetzt kein Fleisch mehr kaufe? Die Wurst liegt doch so oder so in der Kühltheke, ob ich sie nun esse oder nicht“, oder: „Wenn ich kein Fleisch esse, bekomme ich Eisenmangel! Meine Gesundheit ist mir wichtiger als der Klimawandel.“

All diese Argumente lassen sich mit einer kurzen Internetrecherche leicht entkräften. Aber das möchte Ute wahrscheinlich nicht, denn dann würde sie ja wieder dieses unangenehme Gefühl der kognitiven Dissonanz bekommen.


Eine dieser drei Strategien kommt immer zum Einsatz, wenn wir kognitive Dissonanz empfinden. Nicht nur bei veganer Ernährung ist das so, sondern auch in allen anderen Lebensbereichen: Rauchen, Sportlich werden, Berufswahl, online, im echten Leben...


„Okay, nett to know, aber was soll ich jetzt mit der Info?“, könnte man jetzt vielleicht denken. Aber kognitive Dissonanz hat ganz konkrete Auswirkungen auf unsere Lebensführung. Denn es ist bewiesen, dass es sehr wirksamer zur Verhaltensänderung führt, wenn man sich seiner „Scheinheiligkeit“ bewusst wird.



In einer Studie zum Beispiel ging es um Verhütungsmethoden: Obwohl die meisten Leute wissen, dass sie dadurch zur Verbreitung von Geschlechtskrankheiten beitragen, haben sie "casual sex" ohne Kondom. Die Probanden wurden in drei Gruppen eingeteilt. Die erste Gruppe erhielt Informationen zu dem Thema, die zweite wurde darauf aufmerksam gemacht, dass sie keine Kondome tragen, und die dritte erhielt beides. Nur die dritte Gruppe wurde also auf ihre Heuchelei aufmerksam gemacht. Das Ergebnis: Die dritte Gruppe kaufte danach mehr und regelmäßiger Kondome, als die anderen beiden.


Kognitive Dissonanz ist also wichtig für uns. Wir müssen konstant reflektieren, ob das, was wir tun, auch wirklich damit übereinstimmt, an was wir glauben und was uns wichtig ist. Das kann zwar anstrengend sein – aber auf lange Sicht macht es uns zu besseren Menschen.




198 Ansichten7 Kommentare

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7 Comments


getiman183
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komifet392
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