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Klinische Basics #9: Spezifische Phobie

Aktualisiert: 14. Juni 2021

von Nele Franzen


Im Alltag benutzen wir oft den Ausdruck "Angst", um Dinge zu beschreiben, die wir nicht mögen. Wenn ich pünktlich am Bahnhof sein will, sage ich: "ich habe Angst, den Zug zu verpassen". Aber ist das wirklich Angst? Oder wird "Angst" gleichgesetzt mit "nicht wollen"? Ich glaube, dass wir in unserer alltäglichen Sprache viel zu oft das Wort "Angst" benutzen und uns gar nicht im Klaren darüber sind, was Angst überhaupt ist. Mir fällt auf: Wenn ich Dinge beschreiben möchte, vor denen ich wirklich Angst habe, löst das viel intensivere Gefühle aus als die "Angst" den Zug zu verpassen. Was ist Angst also eigentlich?


Angst vs. Furcht:

Um zu verstehen was Angst ist, müssen wir auch verstehen was Angst eben nicht ist bzw. wovon es zu unterscheiden ist.

Wenn man von Angststörungen spricht, wird zwischen Angst und Furcht unterschieden. Im täglichen Sprachgebrauch werden Angst und Furcht als synonym genutzt. Gerade weil beide Begriffe dieselben physiologischen Eigenschaften beschreiben, werden sie oft verwechselt. Beide lösen bspw. eine schnellere Atmung, Schwitzen und Muskelanspannungen aus. Dennoch unterscheiden sich beide Begriffe per Definition enorm. Das DSM-5 beschreibt Furcht als "emotionale Reaktion auf eine reale oder wahrgenommene unmittelbar bevorstehende Bedrohung" und Angst als "Antizipation zukünftiger Bedrohung". Furcht hat also einen bestimmten Trigger - im Gegensatz zu Angst, die eher einen undeutlichen Alarmzustand beschreibt.


Sowohl Furcht als auch Angst sind evolutionär adaptive emotionale Reaktionen. Wir sind biologisch dazu prädisponiert Furcht und Angst zu empfinden. Beispielsweise sind wir genetisch prädisponiert in Panik zu geraten. Ab wann ist Angst oder Furcht denn maladaptiv?


Was ist eine spezifische Phobie? Eine spezifische Phobie gehört zu den Angststörungen und setzt sich aus mehreren Symptomen und Kriterien zusammen. Um mit einer Phobie diagnostiziert zu werden, muss der Betroffene vor dem gefürchteten Objekt oder der gefürchteten Situation unverhältnismäßige und ausgeprägte Angst und Furcht verspüren. Konfrontation mit dem Objekt/Situation löst unmittelbar Angst/Furcht aus. Um mit dem Objekt/Situation nicht konfrontiert zu werden, schützt der Betroffene sich mit Vermeidungsverhalten. Das zu vermeidemde Objekt/Situation wird also im alltäglichen Leben so vermieden, dass der Betroffene erst gar nicht damit konfrontiert wird. Eine Phobie löst klinisch signifikanten Distress (Verzweiflung) aus.


Bei Phobien wird zwischen verschiedenen Subtypen unterscheiden. Zu unterscheiden sind: Tierphobien (Spinnen, Insekten, Hunde etc.), natürliche Umgebungen (Höhe, Stürme, Wasser etc.), Blutinjektionsverletzungen (Nadeln oder invasive medizinische Prozeduren), Situationsbedingte Phobien (Fliegen, Fahrstuhl fahren, oder Platzangst (Agoraphobie)), Phobien die nicht in einer der anderen Subtypen passen (Würgen, Übergeben etc.). Eine Phobie kann sich gegen jedes erdenkliche Objekt/Situation richten, die oben genannten Beispiele sind demnach nur Beispiele und setzten keine Grenzen. Die Phobie gehört zu den dritt meist verbreiteten psychischen Krankheiten. 75% der Betroffenen haben mindestens drei gefürchtet Objekten/Situation. Das bedeutet: solltest du mit einer diagnostiziert worden sein, leidest du meistens unter einer Phobie, die sich gegen verschiedene Objekte richtet.


Wie entsteht eine Phobie?

Eine mögliche Antwort darauf ist: Lernen. Ab dem Zeitpunkt, an dem wir auf die Welt kommen, saugen wir alle möglichen Erfahrungen und Reize unserer Umwelt auf. Wenn du als kleines Kind deine Mutter dabei beobachtest, wie sie sobald sie einem Hund begegnet, Angst bekommt, und dir vermittelt, dass Angst vor Hunden berechtigt ist, kann es sehr gut sein, dass du dir dieses Verhalten abschaust und im Laufe deines Lebens genauso reagierst wenn du mir einen Hund konfrontiert wirst. Das nennt man fehlerhaftes lernen (vicious learning) oder modellieren, beides gehört zur klassischen Konditionierung. Klassische Konditionierung schafft es aber nicht zu erklären, warum Phobien so häufig in der Gesellschaft vertreten sind. Eine Antwort darauf ist die „Preparedness Hypothese“. Diese besagt, dass wir Menschen evolutionär bedingt auf bestimmte Reize sofort mit Angst reagieren. Es gibt also Reize die evolutionsbiologisch eine potenzielle Gefahr für den Menschen darstellen, und wir auf diese anders reagieren als auf andere. Beide Erklärungen sind aber keine endgültigen Erklärungen und eine Debatte wie Phobien entstehen, besteht weiterhin.


Beispiel:

Ich war bei meinem Freund Zuhause und wir wollten etwas kochen. Wir wussten noch nicht richtig, was wir kochen wollten, deshalb gingen wir in den Keller um uns von dem Vorratsschrank inspirieren zu lassen. Ich ging die Treppe in den dunklen Keller herunter und mein Freund sagt "Nele pass auf da steht ein Clown". Auf der einen Seite wusste ich, dass da unten im Keller kein Clown lebt, der mich gleich anspringen wird. Auf der anderen Seite reichte die bloße Vorstellung daran, dass eine kleine Chance bestand, dass mir gleich wirklich ein Clown gegenüber steht, dass ich stock-steif blieb und innerhalb von 3 Sekunden anfing zu weinen. Mein Freund hat natürlich nicht damit gerechnet, dass dieser Scherz eine solche Reaktion bei mir auslöst. Er wusste zwar, dass ich Angst vor Clowns habe, dennoch war ihm absolut nicht bewusst, was es bedeutet, eine Phobie zu haben. Dieses Beispiel, finde ich, zeigt ganz gut, dass eine Phobie für den Betroffenen sehr real, extrem und deutlich, für Außenstehende aber nicht sichtbar ist. Ich bin auch meinem Freund absolut nicht Böse für den Scherz den er sich erlaubt hat, trotzdem muss darüber aufgeklärt werden, dass die Angst vor dem "Objekt" sehr real ist und deswegen ernstgenommen werden muss.


Wie kann man an diesem Beispiel eine Phobie erklären? Schauen wir uns die Kriterien an: Das gefürchtete Objekt in diesem Fall ist ein Clown (selbst wenn ich das Wort schreibe und an Clowns denke bekomme ich schon Gänsehaut). Wie man dem Beispiel entnehmen kann, hatte ich unverhältnismäßige Angst vor der Vorstellung, da unten in dem dunklen Keller könnte sich ein Clown befinden. Die Angst äußerte sich bei mir durch Weinen und einer Schockstarre. Konfrontation löst also sofort Angst und Furcht aus. Glücklicherweise werde ich in meinem Alltag nicht allzu oft mit Clowns konfrontiert, trotzdem übe ich einige Vermeidungsstrategien aus, bspw. schaue ich keine Filme, bei denen ich weiß, dass ein oder mehrere Clowns darin vorkommen. Außerdem vermeide ich Orte, an denen Clowns häufig vorkommen, zum Beispiel Jahrmärkte oder Kirmes. Ich weiß übrigens selbst nicht wie oder wodurch sich die Phobie bei mir entwickelt hat.

Therapiemöglichkeiten: Eine Phobie wird meist mit einer kognitiven Verhaltenstherapie behandelt. Dabei ist ein zentraler Therapiebestandteil die Exposition in vivo (oder auch Konfrontationstherapie), das heißt, man stellt sich mit dem Therapeuten schrittweise dem Objekt oder der Situation, das / die Angst auslöst. Dabei fängt man oft klein an: Jemand, der Angst vor großen Menschenmengen hat, geht nicht sofort ins Fußballstadion, sondern nähert sich vielleicht am Anfang erst einmal einer Bushaltestelle. Der Patient darf dabei nicht, wie sonst, aus der Situation fliehen oder andere Verhaltensweisen zeigen, die dabei helfen, die Angst abzubauen. Je länger man in der Situation bleibt, desto weniger wird automatisch die Angst - und je öfter man die Konfrontation durchführt, desto kleiner wird die Phobie.


Das funktioniert so: Angst ist natürlich im Kopf, aber vor allem auch eine Körperreaktion - zum Beispiel bin ich ja, als ich auf der Treppe stand, stocksteif geworden und mein Herz hat schneller geschlagen. Der Körper hat aber einen natürlichen Mechanismus, den man ausnutzen kann: Er kann nicht so lange in diesem angespannten Zustand bleiben. Nach ca. 20 Minuten in der Situation geht die physische Angstreaktion also ganz automatisch wieder weg.


Der zweite Mechanismus funktioniert im Kopf und hat mit Konditionierung zu tun. Wie oben erklärt, kann eine Phobie durch klassische Konditionierung entstehen - das heißt, man verbindet ein negatives Gefühl (z.B. Herzklopfen, Schockstarre) mit einem eigentlich neutralen Reiz (z.B. Clowns), und deshalb löst der Reiz dann Angst aus. Viel wichtiger für die Therapie ist die Aufrechterhaltung der Phobie, und die funktioniert über die operante Konditionierung. Wenn ich in eine Situation komme, in der ich mit meiner Angst konfrontiert werde, verlasse ich sie lieber ganz schnell. Das heißt, wenn ich versehentlich einen Film anschaue indem ein Clown vorkommt, mache ich den Film ganz schnell aus. Mein Körper lernt: Clowns vermeiden ist gut, denn dadurch geht es mir besser - meine Angst geht weg. So wird das Vermeidungsverhalten verstärkt.

In der Therapie wird eine gegenteilige Lernerfahrung gemacht. Wenn ich längere Zeit in einer Situation mit einem Clown wäre, würde mein Körper automatisch die Erfahrung machen, dass nichts schlimmes passiert.


Eigentlich zwei recht einfache Mechanismen - aber natürlich erfordert die Konfrontation viel mentale Stärke und oft ist es gut, einen Therapeuten dabei zu haben, der einem hilft, die Situation auszuhalten. Die Heilungschancen für eine Phobie sind ziemlich gut: Nach einer Psychotherapie sind 90% der Menschen phobiefrei. Wenn ihr also merkt, dass ihr eine irrationale Angst entwickelt, versucht euch einfach mal in die Situation zu begeben und diese auszuhalten. Augen zu und durch!



Schlusswort

Angst und Furcht sind sehr subjektive emotionale Reaktionen, die nicht jeder unbedingt nachempfinden kann. Nur weil du keine Angst vor Clowns hast, heißt das nicht, dass ich deshalb keine Angst vor Clowns haben darf. Mein Angst davor ist echt und muss nicht von jedem geteilt aber von jedem akzeptiert werden. Wenn jemand beispielsweise Höhenangst hat, dann stellt dieser sich nicht einfach an sondern die Angst ist so schlimm, dass der Körper darauf reagiert. Die Angst ist real und für Betroffene oft kaum auszuhalten. Ich habe Zuhause eine Katze, die ich wie mein eigenes Kind liebe, es gibt aber Menschen die haben schreckliche Angst vor Katzen, obwohl ich die Angst nicht teilen kann, muss ich trotzdem akzeptiere, dass es Menschen gibt, die sich vor meiner Katze fürchten. Sollte das der Fall sein, muss sich entsprechend verhalten werden. Nehmt die Phobie ernst. Lacht die Betroffene Person nicht aus. Versucht das gefürchtete Objekt/Situation zu entfernen.



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