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Klinische Basics #8: Abhängigkeit

Aktualisiert: 14. Juni 2021

von Paula Küppers


Kaffee ist das beliebteste Heißgetränk Deutschlands: 71% der Deutschen trinken ihn mindestens einmal die Woche. Die Chancen stehen also gut, dass du heute morgen auch eine Tasse von dem Wachmacher hattest. Kennst du das Gefühl, wenn morgens mal der Kaffee leer ist oder keine Zeit dafür bleibt? Dann werden viele überhaupt nicht richtig wach und laufen den ganzen Morgen kaum ansprechbar durch die Gegend.


Wisst ihr, warum das so ist? Koffein ist eine Droge, und wenn man sie regelmäßig zu sich nimmt, wird man davon abhängig. Die Müdigkeit, wenn der Kaffee mal ausfällt, ist also eine Entzugserscheinung. Das funktioniert so: Stell dir vor, du sitzt in einem Café und trinkst einen Cappucino. Der Kaffee fließt in deinen Magen und geht von da aus ins Blut. Koffein hat eine besondere Struktur, die ungehindert die Blut-Hirn-Schranke (einen Schutzmechanismus des Gehirns) überwinden kann. Im Gehirn angekommen, setzt sich das Koffein an bestimmte Rezeptoren und bewirkt so die Freisetzung von Dopamin und Adrenalin. Dopamin ist der „Belohnungstransmitter“, das heißt, es sorgt dafür, dass du dich nach dem Kaffee gut fühlst, und beim nächsten Mal wieder einen Cappucino bestellen willst. Adrenalin lässt dein Herz schneller schlagen und stimuliert den Kreislauf, macht dich also wach. Damit der Kreislauf nicht „überdreht“, startet der Körper automatisch eine Gegenreaktion: Er versucht, den Herzschlag herunterzufahren und schüttet gegenläufige Transmitter aus.


Sagen wir, du bist nun also auf den Geschmack gekommen und trinkst von da an jeden Tag nach dem Mittagessen einen Cappucino. Dein Körper lernt: Nach dem Mittagessen ist Adrenalinzeit, da muss ich den Herzschlag herunterfahren. Mit der Zeit löst der Körper die Gegenreaktion schonmal vorsorglich vor, auch wenn du noch gar keinen Kaffee getrunken hast. Der Kaffee macht dann also durch die Gewöhnung nicht mehr so wach, sondern gleicht nur noch die Gegenreaktion aus. Was dir am Anfang noch einen „Kick“ gegeben hat, ist jetzt nur noch dazu da, den „Normalzustand“ aufrechtzuerhalten. Fällt der Kaffee dann irgendwann mal weg, weil du gemerkt hast, dass dein Geldbeutel durch das ständige Cappucino-Trinken zu doll belastet wird, löst der Körper also trotzdem die Gegenreaktion aus. Deshalb wirst du dann unglaublich müde. Vielleicht bekommst du auch einen unkontrollierbaren Drang, doch Kaffee zu trinken – das nennt man „Craving“.


Das Kaffeebeispiel erklärt, wie jeder, ohne es zu merken, in eine Abhängigkeit rutschen kann. Dabei spielt vor allem der regelmäßige Konsum eine Rolle. Genau so oder so ähnlich funktioniert es übrigens auch bei Zucker, Käse und Social-Media-Konsum. Die meisten von uns können mit diesen „kleinen Abhängigkeiten“ im Alltag gut Leben. Die Beispiele sollen aber nicht verharmlosen, dass Abhängigkeiten von anderen Substanzen wie Alkohol, Nikotin, Medikamenten, oder illegalen Drogen für Betroffene die Hölle sind. Laut einer Befragung des BGM sind in Deutschland 17,6 Millionen Menschen von Suchtmitteln, Glückspiel oder Internetkonsum abhängig – das ist fast jeder Vierte. In diesem Artikel soll es vor allem um die Abhängigkeit von Substanzen gehen.


Das Beispiel mit dem Kaffee oben sollte vor allem klarmachen, wie schnell es für jeden Menschen gehen kann, abhängig von etwas zu werden. Für Außenstehende ist es vielleicht unverständlich, warum der Raucher weiterhin seine Lunge kaputt macht oder der Alkoholiker weiter trinkt, obwohl er weiß, dass er kurz davor steht, seinen Führerschein zu verlieren. Für jemanden, der keinen Kaffee mag, ist es aber vielleicht genau so unverständlich, warum jemand jeden Morgen Koffein zu sich nimmt, obwohl er seinen Körper so darauf trainiert, müde zu sein. Es geht nicht darum, dass die Betroffenen einfach „willensschwach“ sind, sondern ihr Körper ist im wahrsten Sinne des Wortes abhängig von der Substanz. So abhängig, dass schwangere Drogenabhängige während der Schwangerschaft keinen Entzug machen dürfen, weil es für den Körper und das Baby schlimmer wäre, auf die Droge zu verzichten, als sie weiterhin zu nehmen.


Hinzu kommt dann auch noch eine psychische Abhängigkeit. Das heißt, dass die Gedanken des Abhängigen ständig um die Droge kreisen und er starkes Verlangen danach hat – die sogenannten „Cravings“. Auch das ist nicht mit Charakterschwäche begründbar, sondern man kann es auf eine hirnanatomische Veränderung zurückführen. Wenn man häufiger mit einem Reiz (z.B. Alkohol) konfrontiert wird, erhöht sich die Sensitivität dafür– das Belohnungssystem wird überempfindlich und man empfindet starkes Verlangen nach dem Reiz.


Das perfide an der Abhängigkeit ist also: Während auf der psychischen Seite das Verlangen mit der Zeit immer weiter steigt, sinkt auf der anderen Seite der Effekt der Droge, weil der Körper sich daran gewöhnt.


Laut DSM und ICD gilt man als süchtig, wenn diese Symptome vorliegen: starker Wunsch oder Zwang, das Medikament zu konsumieren; verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Menge oder der Beendigung der Einnahme; körperliche Entzugssymptome; Toleranzentwicklung (Wirkverlust) bzw. Dosissteigerung; erhöhter Zeitaufwand, um die Substanz zu beschaffen oder sich von den Folgen des Konsums zu erholen, verbunden mit der Vernachlässigung anderer Interessen; fortgesetzter Konsum trotz Folgeschäden.

Außerdem bringt die Abhängigkeit oft auch noch weitere „Schäden“ mit sich. Arbeitsplatzverlust oder das Zerbrechen von Beziehungen sind keine Seltenheit im Leben der Abhängigen. Solche Verluste von Positivem im Leben verstärken noch die Zuwendung zur Droge. Häufig haben Betroffene deswegen ein vollkommen zerstörtes Selbstbewusstsein. Sie wissen, dass der Konsum schlecht für sie ist und ihr Leben kaputtmacht, trotzdem können sie nicht aufhören – klar, dass man sich da schwach fühlt und denkt, man wäre ein schlechter Mensch.


Deshalb ist es an dieser Stelle auch noch einmal ganz wichtig, zu sagen: Betroffene können wirklich nicht aufhören; es hat nichts damit zu tun, dass sie keine Lust haben oder keine Willensstärke, sondern es ist ihnen physisch aufgrund der Veränderungen im Körper und im Gehirn, die die Droge ausgelöst hat, nicht möglich, den Konsum zu reduzieren. Das Stigma, mit dem die Gesellschaft Drogenabhängigen gegenübersteht (Vorurteile wie „faul“, „asi“ oder „ekelig“) tragen nur dazu bei, dass es Betroffenen schlechter geht und sie weiterhin im Teufelskreis des Konsums gefangen sind. Um eine Stigmatisierung Erkrankter zu vermeiden, sollte man übrigens nicht das Wort „Sucht“, sondern immer das Wort „Abhängigkeit“ benutzen, sagt die WHO. Das Wort Abhängigkeit betont, dass es sich dabei um eine Krankheit handelt.



Während die körperliche Seite der Abhängigkeit relativ einfach behandelt werden kann (indem die Substanz über einen längeren Zeitraum nicht eingenommen wird), ist die psychische Seite komplizierter zu therapieren. Die Sensitivität, die für den Reiz entstanden ist, bleibt meist ein Leben lang bestehen – das ist auch der Grund, warum das Therapieziel meist eine vollkommene Abstinenz ist und nicht der kontrollierte Gebrauch. In der Therapie ist es anfangs am wichtigsten, die Motivation des Betroffenen zur Änderung aufzubauen – denn während Betroffene die Probleme, die die Abhängigkeit in ihrem Leben verursacht, durchaus wahrnehmen, sorgt das Verlangen nach der Droge dafür, dass die Motivation für eine Therapie oft nicht so hoch ausgeprägt ist. In der Behandlung lernt der Betroffene alternative Mechanismen, die in Stresssituationen anstelle der Droge angewendet werden können, und sein Selbstbewusstsein wird wieder aufgebaut. Die ersten Entzugs- und Entwöhnungsphasen der Therapie erfolgen meist in einer Klinik, die Rehabilitationsphase kann auch ambulant stattfinden. Wichtig ist in der Nachsorge, einem Rückfall vorzubeugen. Das schafft man zum Beispiel durch ein festes soziales Netz, einen Arbeitsplatz und andere positive Einflüsse im Leben. Außerdem ist der Besuch von Selbsthilfegruppen ein wichtiger Teil der Prävention.


Was lernen wir also? Abhängigkeit ist eine Volkskrankheit, die körperlich bedingt ist, Drogenabhängige können genau so wenig etwas „dafür“ wie Depressive – und vielleicht solltet ihr morgens mal auf den Kaffee verzichten.



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